Zur Verantwortung des Schreibens

In: Monats-Kolumne «Diagnosen der Gegenwart», Schauspielhaus Wien, April 2011


Das Auge des Autors, aufgenommen im Ars Electronica Center Linz.
Das Auge des Autors, aufgenommen im Ars Electronica Center Linz.

Was kann ich tun, fragt der einzelne Mensch angesichts einer katastrophalen Wirklichkeit. Habe ich nicht den Müll getrennt? Habe ich nicht am Familientisch gegen Atomstrom gewettert? Bin ich nicht demonstrierend auf die Straße gegangen? Und dennoch: trotz Demokratie, Eigenverantwortung, Zivilcourage und politischer Partizipation stürzen Technologien zusammen, brechen Erdteile auf, führen Despoten Kriege gegen die eigene Bevölkerung und korrumpieren Wirtschaftssysteme jegliche humanen Ideale. Was kann ich tun, gegen eine undurchschaubar gewordene Welt, die das politisch handelnde Subjekt auf die eigene Begrenztheit und Handlungsunfähigkeit zurückwirft? Ohne Selbstironie oder Zynismus, sondern aus einem ehrlichen Zweifel heraus: Was kann ich tun? Gegen die Welt anschreiben? Reicht das? Verändert Schreiben die Wirklichkeit?

 

Gerade, wenn sich Hiobsbotschaften häufen, wähnt der Ohnmächtige sich ertappt in seiner privilegierten Wohlstandshaut, in seinen abgesicherten, privaten, krisenfreien Quadratmetern, die zum Rückzugsort geworden sind, weil jeglicher Widerstand als sinnlos erklärt wurde. Und was, verdammt, rechtfertigt da noch die Anmaßung, aus einer Ohnmacht heraus schreiben zu wollen? Kurz gesagt: Ich weiß es nicht. Ich denke allerdings, dass Verantwortung dort beginnt, wo man als Einzelner Zeugenschaft für die Welt ablegt. Etwa in Form des schlichten Aufschreibens von Beobachtungen und Gedanken. Das mag bestürzend einfach klingen, doch – jedenfalls an manchen Tagen – erhält Leben etwas Mut Machendes, sobald es erzählbar wird. Sobald Konflikte zur Sprache kommen. Sobald man sich durch eine Aussage in Verhältnis zu dem setzt, was zuvor verhältnislos, unnahbar und unverrückbar schien. Im Schreiben steckt für mich daher die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Zustände nicht einfach hinzunehmen, sondern sie begreifbar und veränderbar zu machen. Gerade als Autor geht es mir darum, aller Ohnmacht zum Trotz, von der Welt, so unbeschreibbar sie mir auch wieder einmal erscheint, zu erzählen.


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