Immer wieder ärgere ich mich, dass ich Texte beginne und nicht beende. Sie mögen mitunter miserabel sein, schlichtweg schlecht, manchmal ein Versprechen, auf halber Strecke sogar nobelpreisverdächtig, ein richtig großer Wurf, bis sie drei Zeilen weiter nerven, in Redundanz ermüden, ermatten, ermüden, ermatten. Doch noch flackert was! Noch ist der Text nicht verloren! Zwischen den Zeilen ein Widerstand, ein Brennen (das vielzitierte) unter Fingernägeln! Oder kommt’s doch vom Magen? Ich denk ans Essen, schon beginnt er auszufransen, mein Textkorpus. Mein Fokus futsch. Der Raumklang lenkt ab, Knattern in der Stromleitung, Rülpsen im Heizkörper, und warum ist der Schreibtisch abseits des Rechners eigentlich so staubig? Zweifel kommen auf, suhlen sich selbstherrlich auf meiner Tastatur, kriechen ätzend die Textoberfläche am Bildschirm hoch: Alles platt!, lachen sie. Ich verlier die Nerven, die Lust, hab die Zeit übersehen. Der Kindergarten ruft an, der Akku ist bald aus, das Wasser im Wasserkocher ist schon wieder kalt (ich hätte Tee machen wollen), die Einkaufsliste im Augenwinkel winkt rüber, und poesielos geh ich aufs Klo. Raff mich erneut auf, knall den Laptop kurz später aber endgültig zu, Text auf Standby, verschimmelt in seinem Ordner. Er liegt dort in guter Gesellschaft. Die Mehrzahl meiner Arbeiten wartet auf Vollendung. Derweil ist mir eine andere genialische Idee dazwischengekommen, oder ein dringlicher Auftrag, der zeitnah Geld verspricht, oder ein Anruf des Verlags, der das Beste im Sinn hatte, doch die ätzend-suhlenden Oberflächenzweifel weiter nährt – mittlerweile sind Löcher in dem, was mal ein geschlossener Absatz! Ein Kind wird krank. Das zweite folgt. Dann bin ich selbst. Meine Frau versorgt drei schnupfig Hustende zugleich, ich bibber im Selbstmitleid: Ich werd Lehrer, Krankenpfleger, Straßenbahnfahrer, Aufsichtsratsvorsitzender, scheiß aufs Schreiben! Tage später sitz ich erneut vor dem Ausgangstext. Ich lese. Lese nochmals. Er ist gut. Er ist gar nicht mal schlecht. Er ist, ja, klar, ausbaufähig. Könnte in meinen gesammelten Werken im Appendix Eingang finden, in der Kategorie «Aussortiertes/Fallengelassenes/Verworfenes». Oder aber (wenn ich mir jetzt Mühe gebe!) an erster Stelle stehen, im Band «preisverdächtigte Prosa 1». Also gebe ich mir Mühe! Ich beginne weiterzuschreiben, umzuschreiben, zu verdichten (das klingt immer schön, macht aber Mühe, wie Unkraut ausreißen), zu streichen (Streichen ist wichtig!). Ich streiche alles. Dann fang ich von vorne an. Erstelle eine Liste mit zwanzig Figuren, die alle noch auftreten werden. Und eine Liste mit zwanzig Sätzen, die alle noch fallen müssen. Streiche wieder alles. Öffne eine neue leere Seite am Rechner (ich liebe leere Seiten! ich hasse leere Seiten!), schreibe jetzt nur einen Satz. Ein Satz muss reichen. Er muss alles ausdrücken, worum es in meinem Text gehen wird. Ich schreibe, bis ich mittendrin einfach
(Wien, 18. November 2022)